Mittelalterliche Pilgerfahrt nach Maastricht
Mittelalterliche Pilgerfahrt nach Maastricht - ein Pilgerzeichen aus Auetal-Poggenhagen
Mit der Christianisierung kam bereits im frühen Mittelalter die Sitte auf, zu bestimmten heiligen Stätten zu reisen. Eine solche Pilgerfahrt war für die Gläubigen Ausdruck einer tiefen Frömmigkeit und teilweise mit dem Bedürfnis oder der Hoffnung auf Heilung von einem Leiden verbunden. Als sichtbares Zeichen und Nachweis der erfolgten Pilgerfahrt konnten seit dem 12. Jahrhundert am Wallfahrtsort kleine aus Metall gegossene Heiligenbilder erworben werden, die an Kopfbedeckung oder Mantel nach außen sichtbar aufgenäht wurden. Diese Pilgerzeichen stellten in aller Regel die Heiligen dar, denen der Wallfahrtsort geweiht war. So steht z.B. eine Darstellung der drei Heiligen Könige für den Ort Köln (Dreikönigenschrein im Kölner Dom), und auch heute noch werden die Pilgerrouten nach Santiago de Compostela mit der Jakobsmuschel ausgewiesen. Die Pilgerzeichen erfüllten unterschiedliche Funktionen: „Unterwegs als Rechtszeichen des Pilgers getragen, galten sie an seinem Heimatort als Erinnerungsobjekt, Statussymbol und Devotionalie, am Emissionsort als Anwesenheitszeugnis und einträglicher Verkaufsartikel.“
Die Pilgerzeichen waren im privaten Besitz zugleich die einzigen weit verbreiteten Bilder, die zur Anschauung verfügbar waren - in unserer heutigen von Bildwelten dominierten Welt kaum vorstellbar - und entsprechend groß muss ihre symbolische Aufladung und Wirkungsmacht gewesen sein, denn die Zeichen galten als Kontaktreliquie, aufgeladen mit der heilenden Kraft der dargestellten Heiligen.
Bedingt durch die Regionalisierung der Wallfahrten und dem Aufkommen der damit verbundenen Kirchen, die Pilgerzeichen herausbrachten, nahm die Zahl der produzierten und ausgegebenen Pilgerzeichen im 14. Jahrhundert stark zu, um dann im 16. Jahrhundert wieder abzunehmen und in Vergessenheit zu geraten.
Bei der Begehung eines Ackers mit der Metallsonde, förderte Thorsten Kuhlmann in Poggenhagen ein mittelalterliches Pilgerzeichen zu Tage. Auf der Vorderseite ist der Heilige Servatius dargestellt. Er ist im Profil mit Heiligenschein nach links blickend als Bischof mit Bischofsstab und Schlüssel abgebildet. Vier Ösen, von denen drei noch vollständig erhalten sind, dienten der Befestigung an Kopfbedeckung oder Kleidung.
Die Darstellung der Figuren im Profil ist bei den Pilgerzeichen ungewöhnlich und bei erster Sichtung der publizierten Funde, ist die aus Poggenhagen stammende Form der Darstellung für den Hl. Servatius bislang einzigartig, wird er doch immer frontal dargestellt, teilweise nur als Büste. Die Büstendarstellung geht sicherlich zurück auf das real existierende Gnadenbild der Reliqiuarbüste, die in Maastricht zu sehen ist und 1403 durch Herzog Heinrich von Bayern gestiftet wurde.
Die Büstendarstellungen auf den Servatius-Pilgerzeichen könnten sich demnach konkret auf das im frühen 15. Jahrhundert existierende Bildnis beziehen, die abstrakte Darstellung Servatius‘ auf dem Zeichen aus Poggenhagen ist demnach vermutlich älter. Wenngleich ein Wandel in der Servatius-Darstellung von abstraktem Bild zur konkreten Büstendarstellung sicherlich nicht direkt nach 1403 mit Stiftung des Büstenreliqiuars vollzogen wurde, sondern sich erst später, im Laufe der Zeit, entwickelt haben dürfte.
Die im Mittelalter verehrte Figur des Servatius (lat. der Gerettete; auch als Servaz bezeichnet) ist hinsichtlich seiner biographischen Daten sehr umstritten. Servatius ist der Schutzpatron der Schlosser und Tischler und wird angerufen gegen Fuß-leiden, Rheumatismus, Fieber, Todesfurcht, Frostschäden, Mäuse- und Rattenplagen und
und bei Lahmen von Tieren. Servatius/Servaz ist einer der fünf Eisheiligen und wird am 13. Mai (seinem vermeintlichen Todestag) verehrt.
Welcher fromme Pilger das Bildnis nach Poggenhagen gebracht hat, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Die Auffindung auf landwirtschaftlicher Nutzfläche könnte unmittelbar mit einer rituellen Niederlegung in Verbindung stehen, von der man sich erhoffte den Segen des Servatius (z.B. gegen Frostschäden an den jungen Pflanzen) zu erlangen. Möglicherweise handelt es sich aber auch um einen Verlustfund und stammt aus dem Nahbereich des mittelalterlichen Diekhofes/Dickhoffs, den Thorsten Kuhlmann, der Finder des Pilgerzeichens, in der Gegend vermutet. Poggenhagen erscheint als Pokenhaghen 1315 erstmals urkundlich. Der Diekhof (Dichof) wird 1333 erwähnt. In der Urkunde verzichtet Ludinger von Dudenhusen zugunsten Johann von Rottorfs und des Stifts Möllenbeck auf seine Ansprüche an den Hof und dessen Zehnten. Den Verzicht bekräftigt er 1346 nochmals vor dem Lehengericht. Das Pilgerzeichen, das in die Zeit um 1300 datiert wird, passt zeitlich also sehr gut zum gesuchten Diekhof, der noch im Mittelalter wüst gefallen ist, dessen ursprüng-liche Lage aber in Vergessenheit geraten ist. Die Flurbezeichnung westlich der Südstraße, etwa 500 m südlich der Fundstelle, ist auch heute noch Diekhoff.
Seit Neuestem lässt sich das Pilgerzeichen in unserem Heimatmuseum in der alten Schule in Hattendorf bewundern.
Daniel Lau
Wir danken Herrn Dr. Daniel Lau für die freundliche Überlassung seines Artikels und wünschen ihm und Herrn Thorsten Kuhlmann für die Zukunft weiterhin viele gute Funde!